|
|
|
Schön schräg
Lutz Flörke legt mit "Das Ilona-Projekt" seinen ersten Roman vor / Von Ingeborg Salomon
Mit Literatur auch Geld zu verdienen, ist nicht unbedingt ein Spaziergang. Denn man muss schon ziemlich findig sein und ausgetretene Berufspfade verlassen, um von der schönen Kunst auch leben zu können. Lutz Flörke, vor allem in Hamburg bekannter Dozent, Performer und Autor, hat es geschafft, er erhielt bereits Förderpreise der Hansestadt und des Landes Niedersachsen. Jetzt wagt sich der promovierte Literaturwissenschaftler an seinen ersten Roman.
"Das Ilona-Projekt" handelt von der zeitgenössischen Sehnsucht, Hauptperson im eigenen Leben zu sein. Deshalb nennt sich der Erzähler selbst HP;
das steht für Hauptperson, aber nicht unbedingt für den Schrei "Ich, Ich, Ich". Der Leser lernt HP kennen, als der im pittoresken Taormina auf
der Terrasse einer Bar sitzt und darüber nachdenkt, warum ihn seine Schwester ausgerechnet auf eine Bildungsreise nach Sizilien geschickt hat.
Weil Goethe auch schon da war? Weil die Mittelmeerinsel so schön ist? Damit er mal sieht, dass die Welt nicht nur aus Büchern besteht? Die Reise
ist ein Geburtstagsgeschenk, über das sich HP noch immer nicht so recht freuen kann. Zum Glück hat er ein gutes Buch dabei, Marcel Prousts "Auf der
Suche nach der verlorenen Zeit". Was schon zeigt, wie der Protagonist tickt.
Weit kommt HP nicht mit der Lektüre, denn vom Nachbartisch meldet sich ein dicker Mann, Reinhardt, zu Wort: "Sie lesen Proust? Respekt!" Damit nimmt
eine Schicksalsgemeinschaft ihren Anfang, der sich HP nicht mehr entziehen kann. Denn der Dicke - "Selbstvertrauen und Übergewicht, von beidem zuviel",
wie Flörke ihn prägnant beschreibt - bittet ihn, eine gewisse Ilona zur Insel Samos zu begleiten. HP sieht die Chance, die Pläne seiner Schwester zu
durchkreuzen und beginnt das "Ilona-Projekt", seine ganz persönliche Liebes-, Abenteuer- und Reisegeschichte.
Eine stringente Handlung sollte der Leser besser nicht erwarten. HP ist auf seiner Reise auch nicht, wie gewünscht, Hauptfigur im eigenen Leben,
schließlich nimmt er den Auftrag eines anderen an und lebt eher dessen Leben. Dabei lernt er schräge Typen kennen, verliert sie wieder und begibt sich
in ziemlich absurde Situationen. Auch mit Ilona läuft es nicht so richtig rund, unter Liebe hat sich HP etwas anderes vorgestellt.
Lutz Flörke schreibt skurril, voll grotesker Komik und dabei spannend, mit originellen Wendungen und ungewöhnlichen Details. Das Buch ist eine witzige
und immer wieder überraschende Lektüre, am Ende sind viele Fragen offen. Und das ist gut so.
Info: Lutz Flörke: "Das Ilona-Projekt".
Verlag Duotincta, Berlin 2018,
255 Seiten, 17 Euro.
Ingeborg Salomon / Rhein-Neckar-Zeitung 17.11.2018
|
Das Ilona-Projekt - Lutz Flörke
Circlestones Literatur Blog, 13. April 2021
"Wie so oft fragt sich HP, in welcher Geschichte er sich befindet, ob es die eigene ist oder eine, die ihm andere aufzuwingen, seine Schwester,
Reinhardt, das Leben im Allgemeinen." (Zitat Seite 27)
Inhalt
Seine Schwester schenkt HP aus Hamburg zum Geburtstag eine Studienreise nach Sizilien. Nun sitzt HP Proust-lesend in Taormina, als ihn Reinhardt,
Beruf Erbe, ebenfalls Proust-Leser, anspricht. Er hat spontan eine Frau, Ilona, nach Taormina eingeladen, doch nun muss er geschäftlich dringend
nach Samos reisen. HP soll Ilona am Treffpunkt abholen und mit ihr Reinhardt auf die Insel Samos nachreisen. Damit beginnt das Ilona-Projekt und
HP taucht ein in ein skurriles, chaotisches Abenteuer. Auf der Suche nach seiner eigenen Geschichte findet er sich jedoch wieder nur als Nebenfigur
in den Geschichten der anderen wieder, tröstet, hört zu. Erst wenn er jemanden findet, der ihm zuhört, dem er die ganze Geschichte erzählen kann,
wird es seine eigene Geschichte sein.
Thema und Genre
In diesem vielschichtigen Roman geht um die Such nach der eigenen Identität und um den Platz im eigenen Leben. Weitere Themen sind Beziehungsformen,
Liebe, Literatur, sowie die vielen Erzählformen und unterschiedlichen Erzählperspektiven, die Fülle an literarischen Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen.
Charaktere
Die Hauptperson, kurz HP, ist eher ruhig und zurückhaltend, in seinen Gedanken jedoch läuft pausenlos eine Vielzahl von Geschichten ab, Träume, die
reale Situationen spontan verändern, Literaturfragmente aus Büchern von bekannten Schriftstellern, eigene Erinnerungen. Manchmal verirrt er sich in
diesen Geschichten, während er sich verzweifelt bemüht, authentisch zu wirken. Mit einem großen Augenzwinkern lässt der Autor seine Figuren mit den
typischen menschlichen Verhaltensweisen und Schwächen agieren.
Handlung und Schreibstil
Die Geschichte spielt in Italien, Griechenland und zusätzlich in mehreren Variationen in den Gedanken von HP. Ereignisse und Szenen, die ruhig, gelassen
beginnen, werden durch unvorhersehbare Wendungen und wechselnde Erzählperspektiven plötzlich chaotisch. Skurrile Gespräche über das Schreiben, das Leben
und Biografien, Beschreibungen von antiken Sehenswürdigkeiten fließen als Textauszüge und Zitate in die Handlung ein. Auch in diesem Urlaub weitab
von seinem alltäglichen Umfeld, führen Situationen dazu, dass sich HP in die Biografien der Personen, die ihn umgeben, einfügt, dabei sehnt er sich
nach einer eigenen Biografie, mit ihm selbst als Hauptperson. Er hat die Wahl zu gehen, überlegt, sich zurückzuziehen, sich eine andere, eigene Geschichte
zu suchen. Aber er bleibt, weil er neugierig ist, weil es ihn interessiert, was daraus wird und auch wir Lesende sind gespannt. Selbst als HP endlich
jemandem seine Geschichte erzählen konnte, sie damit zu seiner eigenen Geschichte gemacht hat, unterbricht der Erzähler diese ruhige Nacht am Meer mit
einer skurril-komischen Pointe und fügt für HP ein weiteres Kapitel an.
Fazit
Ein Roman wie eine abenteuerliche Achterbahnfahrt: ernst, chaotisch, skurril, witzig. Ein ungewöhnliches, interessantes und unterhaltsames Lesevergnügen.
|
| |
|
|